søndag 3. mars 2013

"Happy New Ears"- Förderpreis für Publizistik zur Neuen Musik, München 22.02.13

Jeg var så heldig å motta "Happy New Ears"-prisen, pålydende 4000 euro, for mitt arbeid med formidling av ny musikk! Hans og Gertrud Zender står bak prisen, som de deler ut i samarbeid med Bayerischen Rundfunk og Die Bayerische Akademie von schönen Kunste. Martin Zenck, min opponent fra disputasen, fikk hovedprisen for musikkritikk, og Isabell Mundry fikk komponistprisen. Prisen ble delt ut i München i februar 2013, og Martin Zenck holdt tale for meg.




(Photos: Bayerischen Rundfunk)

Read about the prize ceremony here:
http://www.br.de/radio/br-klassik/orchester-chor/musica-viva/zender-preis-isabel-mundry-konzert-pomarico100.html

Laudatio von Martin Zenck (Universität Würzburg):

Herzlichen Dank für die Vergabe des Happy New Ears/- Preises/- für Publizistik zur Neuen Musik an mich. [...]

 Aber ich möchte mich hier nicht nur für den Preis bedanken, sondern auf Wunsch der Bayerischen Akademie der schönen Künste und der Hans und Getrud Zender -Stiftung jetzt eine kleinere Laudatio auf den Förderpreis für Dr. Havard Enge aus Oslo halten, dessen wissenschaftliche Arbeiten sich genau in dem von mir zuvor beschriebenen Kraftfeld der Neuen Musik in der Öffentlichkeit bewegen. Meine kleine Rede auf Havard Enge wird knapp 12 Minuten dauern und für den Preisträger darf ich Sie hier um besondere Aufmerksamkeit bitten. Ich möchte bei meiner Besprechung und Würdigung drei der Schriften und Arbeiten des Norwegischen Musikologen auswählen: einmal  erstens seine Master-Thesis über Pierre Boulez’ „Structures I a“, zweitens seinen in der „Neuen Zeitschrift für Musik“ veröffentlichten Text über Konzeptionen des Hörens bei John Cage und Hans Zender und vor allem und drittens über seine publizierte Dissertation „Music reading Poetry“.

Auf die Master-Thesis über Pierre Boulez stieß ich eher zufällig, als ich letztes Jahr drei Monate in der Paul Sacher Stiftung in Basel an der Sammlung „Pierre Boulez“ arbeitete. Es handelt sich bei dieser Studie von Havard Enge um eine 187 Seiten umfassende Arbeit in norwegischer Sprache und ich war dankbar, dass es davon wenigstens ein kurzes, gedrängtes englisches abstract  gibt, denn leider beherrsche ich das Norwegische ganz und gar nicht. Der Titel dieser Studie  „The System and the Music. On the Analytical Reception of New Types of Musical Works in the 1950s“ scheint zunächst noch ganz in der Tradition der 1950er Jahre zu liegen, weil sie von Rezeptionsproblemen der frühen seriellen Musik handelt, sich also eher mit wissenschaftlichen und kompositorischen Auseinandersetzungen mit dieser Musik zu befassen scheint als mit Hörproblemen. Aber mit der dann doch erfolgenden Akzentuierung  auf der Wahrnehmung betritt Havard Enge zusammen mit der epochemachende Studie über vergleichbare Fragestellungen von Ulrich Mosch über „Musikalisches Hören serieller Musik“, insbesondere von Boulez „Le marteau sans maître“,  wirkliches Neuland. Hier ist wieder genau der vorhin angesprochene Aspekt der einseitig intellektuellen Zuschreibung aufgerufen, dass die serielle Musik der frühen fünfziger Jahre, die  fälschlicherweise als höchst konstruktivistisch und als allzu vergeistigt aufgefasst wird – man kann sie nur angemessen verstehen, wenn man sie als Reaktion auf den Missbrauch des Körpers, der Musik und ihrer Gefühle in der Nazi-Ideologie begreift -, dass diese serielle Musik eben auch anders aufgeführt und gehört werden möchte als dies in den 1950er Jahren geschehen ist. Es wäre also sehr einseitig, wenn nicht falsch, die serielle Musik nur aus der Wahrnehmungsperspektive der geschichtlich scheinbar in den 1950er Jahren festgeschriebenen Musik aus zu hören. – Ein Vergleich zwischen den legendären Aufführungen dieser Musik durch David Tudor, Fréderic Rzewski, Yvonne Loriod, Pierre Boulez und Alois Kontarksky legt zwar eine solche scheinbar authentische Überlieferung nahe, aber die neueren Video- und CD-Produktionen der Klavierwerke von Pierre Boulez - etwa von Pierre-Laurent Aimard und Dimitri Vassilakis. -  legen auch eine ganz andere Hör- und Spielweise nahe. Es findet sich darin ein Reichtum mnemotechnisch aufgerufener klavieristischer Gesten, die von Beethovens Hammerklaviersonate über Debussys Etuden, Schönbergs op. 11 bis hin zu André Jolivet und Messiaen reichen (vor allem sein „Ille de feu“). Von da aus, von den Studien von Havard Enge aus gesehen, muss die Geschichte der Seriellen Musik neu geschrieben werden und eben nicht nach Maßgabe von Ordnungssystemen, sondern nach der Vorstellung eines veränderten Hörens  und vor allem des  ganz anderen Aufführens dieser Musik. Havard Enge betont deswegen auch gegenüber dem angeblichen, von György Ligeti festgehaltenen „Automatismus der seriellen Konstruktion“, die Freisetzung des Hörens, das sich dieser Zwangsläufigkeit einer vorgegebenen Ordnungsarchitektur der Komposition widersetzt. Zitat Havard Enge:
„In my opinion, taking the listener’s perspective in analysis can supply new and valuable insights to the integral serialist and aleatoric works. I conclude by demonstrating how the notorious ‘textbook example’ of integral serialism, Pierre Boulez’ Structures I a, could be analyzed from a listener’s perspective.” (end of the quote).

Die zweite Studie des Preisträgers schließt ganz unmittelbar an die hier skizzierte Thematik der Rezeption an, indem sie das Verständnis des Hörens von John Cage und Hans Zender miteinander vergleicht und damit in einen zunächst überraschenden Zusammenhang stellt, denn beide Komponisten scheinen doch  in ihrem jeweiligen Selbstverständnis sehr weit voneinander entfernt zu sein. Zunächst und dies betont der Text Haward Enges mit Blick auf Hans Zender, wird das Hören von seiner eher passiven Wahrnehmungsform befreit und zusammen mit der musikalischen Interpretation in den Akt des Komponierens selbst  hineingeschoben. Komponieren heißt demnach wesentlich: entweder bereits Gehörtes zu verwandeln und es in einen neuen Bedeutungskontext übertragen oder bisher Unerhörtes, noch nicht Existierendes, das zunächst in ein innerlich Gehörtes übersetzt wird, um es dann in einen kompositorischen Akt zu überführen. Eingewandt werden kann an dieser Stelle, dass die Betonung des Aktiven beim Hören die Akzentuierung einer Passibilität außer acht lässt, weil sich darin ein zulassendes Gewährenlassen äußert, das die Bedingung dafür ist, etwas wahrzunehmen, das grundsätzlich anders ist als das Bekannte. Gegenüber der Aktivität des Hörens, das im Komponieren fruchtbar gemacht wird, wäre also auch die Passibilität, also nicht die Passivität, zu unterstreichen, die auf die Alterität, auf Fremdes gerichtet ist, das als solches zugelassen werden müsste, um überhaupt zum Eigenen anverwandelt werden zu können oder um das Fremde in seiner Daseinsberechtigung ganz eigener Art zu respektieren. Es liegt auf der Hand, dass diese auf die Andersheit eines akustischen Phänomens gerichtete Wahrnehmung eher die Position von John Cage ist, während die produktiv gemachte Rezeptivität des Hörens der neuen Position Zenders zugewiesen wird.

[Bei einem Hans Zender gewidmeten Kongress in Straßburg mit Konzerten seiner Werke im Juni des letzten Jahres gab es auch ein Gespräch zwischen dem französischen Philosophen Jean-Luc Nancy und dem Komponisten, vor allem über das „Dazwischen“ in der Stille, die zwischen konkretem Klang und  dem vollkommenem Verschwinden des Klangs steht.  Es gibt zwar von Nancy eine erhellende Studie mit dem Titel „A L’écoute“ („Zum Gehör“), aber die spezifische Stille der Musik spielt hier keine ausdrückliche Rolle. Und so war und ist dieses Gespräch deswegen besonders wichtig, weil sich hier auf neue Weise die Frage stellt, was diese Stille für den Hörer ist. Wird er dabei eher auf sich selbst zurückgeworfen, hört er seinen eigenen Herzschlag oder die unmittelbare Umgebung? Hört er der Musik nach, die noch, obwohl verklungen, an seinem Körper haften bleibt? Oder hört er noch der Stimme von Jean-Luc Nancy und der des Komponisten nach? Oder stellt der Hörer fest, dass die Stille etwas ist, das zwischen einem hinteren, klanglosen Horizont und  vor einem vorderen Klanggeschehen verhandelt wird? Dass Kunst machen also heißt, etwas aus einem hinteren und unsichtbaren Horizont in einen vorderen der Erscheinung zu übersetzen und dass das Erklungene dann folgerichtig wieder an den transzendenten Horizont zurück adressiert wird, um dort wieder in Stille überzugehen. Der Hörer wird also zusammen mit dem Komponisten Teil dieses unteilbaren Vorgangs, mit dem das Klingende, Vergehende, die Stille und das Verlöschende untrennbar miteinander verbunden sind – Mit  Hölderlin könnte gesagt werden, dass die Sprache und mir ihr die Musik aus dem Schweigen heraus tritt und in dieses wieder zurückkehrt. Der Ton kommt also aus der Stille und geht wieder in diese zurück. Man kann diese besondere Aufmerksamkeit auf dem Vorgang der Entstehung eines Klangs aus der Stille und dem Vergehen im Schweigen als einen entschieden veränderten Parameter in der Neuen Musik betrachten. Während die Musik der Tradition zwar Pausen, Generalpausen inmitten der Musik als Schweigefiguren der Aposiopese kennt, ergreifen diese akustischen Leerstellen der Neuen Musik gewissermaßen von Innen aus Besitz von der Komposition, in der das Schweigen nach außen gekehrt wird.]

Mit diesen Fragen befasst sich drittens die Dissertation „Music reading Poetry“ von Havard Enge. Indem die Musik – Hans Zenders  bisher fünf musikalische Lektüren unter dem Titel „Hölderlin lesen“ - die Dichtung Hölderlins spricht, stammelt, stottert, zerbricht vokalisiert, gibt die Musik dem jeweiligen Gedicht eine Stimme, indem sie derjenigen des Gedichts folgt. Zwar „Spricht der Dichter“ nach Robert Schumann, Roland Barthes und Henri Pousseur, aber es ist nicht die reale des Autors, sondern die jeweilige, die dem einzelnen Gedicht einen entsprechenden mündlichen Ausdruck verleiht. Davon handelt etwa das berühmte Gedicht „Stimmen“ von Paul Celan, das jedem seiner Strophen eine eigene Stimme gibt: etwa derjenigen der Jakobstimme. Paul Celan hat auf Hölderlin das Gedicht, „Tübingen, Jenner“ verfasst. Zusammen mit seiner Rezitation kann gesagt werden, dass er damit der Dichtung Hölderlins eine Stimme gegeben hat und zwar eine, welche gegen die Schrift ausdrücklich rebelliert, weil sie als  Verrat am Mund, an der oralen Präsenz der Dichtung verstanden werden kann. Und so kann mit Havard Enge gesagt werden, dass die Musik Hans Zenders insofern Hölderlins Gedichte liest – so der Titel „Music reading poetry“ -,  indem die Komposition die jeweilige Stimme im Gedicht aufspürt und sie so in klingende und schweigende Musik überträgt, wie der Komponist innerlich diese Stimme gehört hat. Zenders Hölderlin-Kompositionen können also als Widerrufung des Verrats der Schrift, der Hand an den Mund gehört werden. Anders als die literaturwissenschaftliche, textkritisch, semantisch und formal orientierte Lesart folgt die Musik eher der lauten, hörbaren oder stillen und innerlichen Rezitation des Gedichts, dessen  gehörte Klangfiguren von der Komposition in eine freie und neue phonetische und rhythmisierte Klanggestik übersetzt werden.

Diesem Weg einer musikwissenschaftlichen Interpretation der Hölderlin-Lektüren Hans Zenders über Havard Enges Dissertation zu folgen, eröffnet nicht nur methodisches Neuland  in dieser Disziplin, sondern lehrt uns vielleicht, die Dichtung Hölderlins diesseits literaturwissenschaftlicher Interpretation als orale Poesie im Sinne von Ossip Mandelstam, als klingenden, phonetischen, frei-rhythmisierten Sprechakt wahrzunehmen. – Lieber Havard Enge, Dank Ihnen an dieser Stelle für diese gedankliche Eröffnung neuer Horizonte und Gratulation zum Förderpreis der Hans und Gertrud Zender-Stiftung!